17.08.2012

Kleine Geschichten für Zwischendurch - Teil 2

The 12 blocks of hell

Bis zu unserer Ankunft hier in Port Angeles (dazu später mehr) war unsere Reise mehr eine Städtetour als alles andere: New York, Boston, Vancouver. Großstädte sind spezielle Ziele, Keimzellen aller erdenklichen (Sub)Kulturen, Chancen und Probleme. Man begegnet Menschen aus aller Herren Länder, hört die verschiedensten Sprachen und sieht die seltsamsten Dinge. So auch in Vancouver, dieser eigentlich so schönen, sauberen, fast idyllischen Stadt zwischen Pazifik und Rocky Mountains. An unserem zweiten Tag wollten wir uns die angepriesenen Stadtteile Gastown und Chinatown ansehen. Gastown ist eine klassische Touristengegend: ganz nette Straßenzüge von Backsteingebäuden, etwas europäisch angehaucht, Andenkenläden, Restaurants, Cafes, usw. Schon hier fiel uns aber die recht hohe Anzahl von Obdachlosen/Bettlern in dem kleinen Gebiet auf. Und während wir noch über das Auseinanderklaffen der Gesellschaft diskutieren, gehen wir von Gastown weiter Richtung Chinatown, was nur zwei Blocks bzw. Querstraßen weiter liegt. Nur ein paar hundert Meter zu Fuß, in deren Verlauf sich aber eine völlig andere Welt öffnete.
Raus aus dieser Touristengegend, wortwörtlich nur um die Ecke sind plötzlich keine Restaurants oder Cafes mehr, sondern heruntergekommene, leerstehende Häuser. Keine Touristen mehr, die mit ihren Stadtkarten, Rucksäcken und Kameras die Gegend erkunden, sondern nur noch Obdachlose und Drogenabhängige, die auf Bänken und in Häuserecken liegen und nach Geld fragen. Die Szenerie an der nächsten Straßenecke kann man nur als krass bezeichnen. Nach links auf der Hastings Street waren die Bürgersteige voll von Menschen, augenscheinlich alle obdachlos. Absolut surreal in dieser bislang doch so sauberen Stadt.
Auf der anderen Straßenseite wurden wir dann plötzlich von einem Mann, Murray, angesprochen. Er hatte wohl bemerkt, dass wir etwas erschrocken waren und erklärte uns, was wir da gerade gesehen hatten. Die Gegend, die wir gerade nur kurz durchquert hatten, ist in Kanada bekannt als die "12 blocks of hell" und angeblich die ärmste im Land mit der höchsten Anzahl eben an jenen Obdachlosen, Drogen- und Alkoholabhängigen, die wir gesehen hatten. Leute, die sich für ihren nächsten Kick die schlimmsten Sachen einwerfen, junge Mädchen, die sich prostituieren, und von all diesen Menschen sind geschätzte 60% HIV-positiv.
Natürlich ist auch Kanada nicht das Land, in dem Milch und Honig fließen. Wir wollen auch nicht nur die schönen Seiten sehen. Aber dem Elend so konzentriert und so unmittelbar mitten in der Stadt zu begegnen, das hatten wir nicht erwartet.
Um eventuelle Sorgen zu nehmen: Es ist nicht passiert und es wäre auch ohne Murray nichts passiert. Die Leute fragen die "normalen" Fußgänger vielleicht nach Geld, aber mehr geschieht dort nicht. Man will keine Probleme mit der Polizei riskieren, und wenn, dann gibt es eher Ärger untereinander.
Darüber hinaus gibt es für diese Konzentration von Armut eine zumindest teilweise positive Erklärung: In den "12 blocks of hell" finden Obdachlose die Möglichkeit kostenfrei zu essen, zu schlafen und ihre Wäsche zu waschen. Für Drogenabhängige gibt es dort den einzigen dedizierten Drogenraum in ganz Nordamerika, wo sie sich mit sauberen Spritzen in einer sicheren Umgebung spritzen können. Das brauchen wir wohl nicht weiter zu kommentieren.
Solche Erlebnisse lassen einen immer nachdenklich zurück. Wie so reiche Gesellschaften im Westen soviel Armut in ihren Reihen zulassen können. Und wo die sich scheinbar verstärkenden Spannungen noch hinführen werden.
Und wie viel Glück wir in unseren eigenen Leben doch haben.

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